Als Gott sah
Als Gott sah, dass der Weg zu beschwerlich,
der Hügel zu steil und das Atmen zu schwer wurde-
legte er seinen Arm um ihn und sprach:
“Komm Heim”
Auf der anderen Seite des Weges
Der Tod ist nichts,
ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen.
Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das was ich immer für euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen, den ihr mir gegeben habt.
Gebraucht nicht eine andere Redeweise,
Seid nicht feierlich oder traurig.
Lacht weiterhin über das,
worüber wir gemeinsam gelacht haben.
Betet, lacht, denkt an mich,
damit mein Name ausgesprochen wird,
so wie es immer war,
ohne irgendeine Betonung,
ohne eine Spur des Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war.
Der Faden ist nicht durchschnitten.
Warum soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg,
nur auf der anderen Seite des Weges.
(Charles Pegu)
Segen der Trauernden
Gesegnet seien alle, die mir jetzt nicht ausweichen. Dankbar bin ich für jeden, der mir einmal zulächelt und mir seine Hand reicht, wenn ich mich verlassen fühle.
Gesegnet seien die, die mich immer noch besuchen,
obwohl sie Angst haben, etwas falsches zu sagen.
Gesegnet seien alle, die mir erlauben
von dem Verstorbenen zu sprechen.
Ich möchte meine Erinnerung nicht totschweigen.
Ich suche Menschen, denen ich mitteilen kann, was mich bewegt.
Gesegnet seien alle, die mir zuhören, auch wenn das,
was ich zu sagen habe, sehr schwer zu ertragen ist.
Gesegnet seien alle, die mich trösten und mir zusichern,
dass Gott mich nicht verlassen hat.
(Marie-Luise Wölfing)
Was Dir hilft
Ich will dir sagen, was dir hilft:
Weinen,
weil du verlassen bist, denn du bist es.
Weil dir kalt ist. Es ist wirklich kalt.
Weil dir das Weh das Herz zusammenzieht,
mehr, als irgendeiner von uns ermisst.
Schreien.
Auch wenn es jemand hört.
Ich verstehe es, wenn du zornig bist,
wenn du wütend bist auch auf Gott,
der das zugelassen oder gar gewollt hat.
Auch Hiob klagte Gott mit harten Worten an.
Verstummen,
wenn du das Gefühl hast,
der andere könne nicht verstehen.
Wenn du zu müde bist, zu reden,
oder wenn du dich, auf eine seltsame Weise schuldig fühlst.
Eines Tages wird es nicht mehr so wichtig sein, zu weinen oder zu schreien.
Aber jetzt tut es gut. Und jetzt soll es dir niemand verwehren.
Kerzenmeditation
In der folgenden Meditation wollen wir anhand der Kerze über das Leben nachdenken. Die Kerze besteht aus Wachs und Docht. Wenn wir sie anzünden, wird das Wachs flüssig; es schmilzt unter der Flamme. Mit dem Leben ist es ähnlich: es verbraucht sich und brennt herunter. Wir altern und verlieren an Vitalität.
Wenn das Wachs schmilzt, verwandelt es sich in Wärme und in Licht.
Substanz wandelt sich zu Funktion. Es wird etwas Lebendiges daraus.
Je kleiner die Kerze wird, umso länger hat sie geleuchtet. Je mehr sie an Substanz verliert, umso intensiver hat sie ihre Funktion erfüllt. Daher gibt es wenig Grund, dem Wachs nachzutrauern. Wenn sie nicht brennt, erfüllt sie nicht ihren Sinn. Der erfüllte Sinn ist ihr Kleinerwerden und Schrumpfen wert.
Wenn das Wachs aufgebraucht und die Kerze erloschen ist, bleibt dennoch die Tatsache bestehen, dass sie geleuchtet hat. Nichts kann den Glanz dieser Stunden mehr trüben. Vergängliches Wachs wandelt sich in unvergängliches Leuchten.
Was wir während des Herunterbrennens unseres Lebens getan, erlebt und erlitten haben, geht ein in die ewige Wahrheit, wo es aufgehoben und geborgen ist.
Anhand der Kerze können wir auch über die Gebrochenheit menschlichen Seins nachdenken. Jedes menschliche Leben hat Bruchstellen, Geknicktes, Versäumtes, Verfehltes. Auch der menschliche Körper ist verletzlich, hat schwache, empfindliche Stellen. Aber die gebrochene Kerze bleibt Einheit und Ganzheit. Zumindest am Docht hängt sie noch zusammen. Sie ist eine Mischung aus Heilem und Unheilem. Auch im Menschen, sei er auch noch so gebrochen oder gebrechlich, gibt es immer auch Heiles, geradezu Unbrechbares. Auch der behinderte, alte und kranke Mensch, auch die durch Schmerz und Verletzung eingeschränkte Person kann noch Sinn in der Welt erfüllen.
Wenn die Bruchstellen übereinander liegen, wird die Kerze wahrscheinlich halten. Wenn nicht, kann man sie abstützen. Wenn wir die gebrochene Kerze anzünden, leuchtet sie. Ihre Substanz ist beschädigt, ihre Funktion, ihren Sinn erfüllt sie trotzdem. Herabfließende Wachstropfen können sogar die Bruchstelle wieder festigen. Brennen, Leuchten und Warmsein werden zur Heilung gebrochenen Wachses. Wenn sich die Flamme der Bruchstelle nähert, wird sie weich und verbindet sich wieder. Der einstige Bruch verschwindet dann im Licht, geht auf in der Funktion, die er trotz aller Gebrochenheit erfüllt hat.
Sinnerfüllung im Leben ist das Gegenmittel zur Gebrochenheit. Ein Leben, das leuchtet, leuchtet über seine Bruchstellen hinweg.
Noch eine Überlegung können wir anstellen: Die, die heute nicht bei uns waren, haben das Leuchten der Kerze nicht gesehen. Auch wir gehen weg und vergessen es vielleicht. Dennoch bleibt es wahr. Denken wir an das Lichtvolle und Sinnvolle, das wir selbst in unserem Leben gewirkt haben. Es spielt für seine Gültigkeit wenig Rolle, ob es jemand weiß, es anerkennt oder uns dafür dankt. Es bleibt sinnvoll, auch wenn es niemand kennt oder anerkennt.
(nach: Elisabeth Lukas: Alles fügt sich und erfüllt sich. Die Sinnfrage im Alter)